Heute vor siebzig Jahren und damit knapp vor dem Kriegsende in Deutschland wurde Potsdam von britischen Bombern angegriffen. Aus Anlaß dieses Jubiläums hat die Stadt eine Gedenkfeier im Potsdam Museum am Alten Markt ausgerichtet und mich gebeten, das darin enthaltene Zeitzeugengespräch zu moderieren.
Die beiden Männer, mit denen ich dann auf dem Podium saß, waren im April 1945 acht bzw. neun Jahre alt; und während des ganzen Gespräches konnte ich sie als die kleinen Jungs vor mir sehen, die sie damals waren. Der eine überstand den Bombenangriff in einem Keller in der Schlaatzstraße, also ganz in der Nähe des Bahnhofsgeländes, auf dem nach dem Angriff ein dort abgestellter Zug voll Munition noch stundenlang weitere Explosionen erzeugte. Der andere Junge hatte sich mit seiner Familie im Keller der Hiller-Brandtschen Häuser verkrochen und konnte sich erinnern, wie seltsam ihm am nächsten Sonntagmorgen die in den Fensterhöhlen einiger Häuser an der Breiten Straße immer noch züngelnden Flammen erschienen: wie brennende Gardinen.
Im Anschluß an unser Gespräch spielte das Streichquartett der Potsdamer Kammerakademie und um 22.16 Uhr läuteten alle Kirchenglocken der Stadt. Wir standen auf dem Alten Markt und hörten auf die Glocken – vor siebzig Jahren waren es die Sirenen gewesen, die die Potsdamer, darunter auch viele Zwangsarbeiter und Flüchtlinge, vor dem Angriff warnten.
Ich dachte an die Begegnung mit einer anderen Zeitzeugin, die mir vor Jahren erzählt hatte, wie sie – schon bei Vollalarm – am Bahnhof aus dem Zug sprang, mit dem sie gerade aus Brandenburg/Havel gekommen war, und so schnell wie möglich in die heutige Yorkstraße rannte, weil dort ihre beiden kleinen Söhnen mit ihrer Schwester auf sie warteten. Die vier haben dann im Keller des Brock’schen Hauses überlebt.
Sie sagte damals allerdings nicht „ich rannte“ – sie sagte, sie wäre geflogen. Sie hätte einfach keine Erinnerung mehr daran, daß ihre Füße den Boden berührt hätten; also wäre sie wohl zu ihren Kindern geflogen.
Und während heute die Glocken läuteten, konnte ich sie sehen: Wie sie über die Lange Brücke, das kurze Stück durch den Lustgarten am Schloß vorbei und am Marstall, über den Neuen Markt und zum Stadtkanal fliegt.
Als das Geläut verstummte, sprach Pfarrer Martin Vogel vor den Stufen der Nikolaikirche ein Gebet; und dann konnten wir alle in Frieden nach Hause gehen.