Sigrid Grabner schreibt in der PNN über den 4. November 1989 in Potsdam: „Die Organisatoren hatten beschlossen, dass nicht wie in Berlin Leute mit klingenden Namen reden sollten, sondern Vertreter der Bürgerbewegung, die von Anfang an dabei gewesen waren. Und so sprachen Annette Flade, Olaf Grabner, Reinhard Meinel und Hans Schalinski frisch und frei zu den Menschen auf dem Platz. Die Zeit der Politfloskeln war vorbei und die Zeit der politischen Korrektheit noch nicht gekommen.“
Ich erinnere mich noch gut daran, wie meine Mutter und ich zwischen all den Demonstranten auf dem Platz der Nationen (heute: Luisenplatz) standen und den Rednern zuhörten, die auf dem Balkon eines Hauses standen – es gab keine Rednertribüne, wie Sigrid Grabner auch schreibt.
Und ich erinnere mich, wie einer der Redner uns Hinweise für die Wegstrecke der Demonstration gab und einen Ratschlag: Wenn jemand von uns in seiner Nähe Gewalt bemerken würde – egal von wem -, solle er sich hinsetzen! Alle, in deren Nähe Gewalt geschehe, sollten sich in diesem Moment hinsetzen: So würde man die Gewalt sichtbar machen und die Gewalttäter identifizierbar.
Dazu ist es auf dem Weg, den an diesem Tag Tausende Potsdamer gingen, nicht gekommen. Aber ja, wir hatten Angst, daß es zu offener oder verdeckter staatlicher Gewalt kommen könnte. Meine Mutter, die mir am 7. Oktober, als die erste Demonstration in Potsdam auf der Brandenburger Straße stattfand, noch aus Angst um mich verboten hatte, dort teilzunehmen, hatte und hat lebendige Erinnerungen an den 17. Juni 1953: Damals als Kind auf dem Heimweg von der Schule war ein Arbeiter aus dem Demonstrationszug in Magdeburg ausgeschert und auf sie zugekommen, hatte ihr das Pionierhalstuch abgebunden, in ihren Schulranzen gesteckt und gesagt: Geh‘ schnell nach Hause, Kleine!
Am 4. November 1989 in Potsdam wußten wir noch nicht, daß 25 Jahre später „friedliche Revolution“ der korrekte Begriff für die Ereignisse dieses Herbstes sein würde. Wir hatten Angst. Aber aus Angst wurde Mut.