Stasiland Brandenburg – dieses Wort geistert herum. Warum das so ist, weiß jeder von Ihnen aus den Medienberichten über die rot-rote Koalition in Brandenburg und die Enthüllungen über ehemalige Stasi-Spitzel in der Linkspartei. So weit, so schlecht.
Mir fiel dabei dieser Tage ein, daß ich hier einmal einen Literaturtipp geben könnte, der für Potsdam-Besucher, die sich für das Thema interessieren, nützlich wäre:
Mit tschekistischem Gruß – Berichte der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam im Zeitraum Juli 1988 bis November 1989. Hrsg.: Reinhard Meinel/Thomas Wernicke, Verlag Edition Babelturm, Potsdam 1990.
In dieser Publikation, die meines Wissens nach nur noch antiquarisch (auch online!) zu erhalten ist, finden sich also keine Bespitzelungsberichte über einzelne Personen, sondern Berichte bzw. „Vorgangsakten“ der Stasi über „Vorkommnisse“ in Potsdam aus der letzten Zeit der DDR. Unter anderem z.B. auch ein Bericht über das erste Pfingstbergfest im Juni 1989, das u.a. auch von Matthias Platzeck, dem heutigen Ministerpräsidenten Brandenburgs mit initiiert und vorbereitet wurde.
Man lernt beim Lesen viel über die Sichtweise der Staatssicherheit, was sie für gefährlich hielt, wie stark diese Organisation überall präsent war und mit welch zum Teil peinlicher Akribie z.B. die Kleidung der Protagonisten protokolliert wurde. Und ja, es wird einem öfter übel dabei…
In der Danksagung der Herausgeber am Anfang des Buches finden Sie auch meinen Namen. Ich habe nämlich im Frühjahr 1990 die Texterfassung dieser Stasi-Vorgangsakten erledigt. Ich lief jeden Tag nach der Arbeit und an zwei Wochenenden zu dem kleinen Verlag, und schrieb die Stasi-Akten ab. Mein Honorar war zwar eher symbolisch, aber das störte mich nicht, ich wollte helfen, dieses Buch herauszubringen.
Was mich allerdings sehr bei der Arbeit störte, war dieser Wechsel aus Übelkeit und Wut, dem ich beim Schreiben ständig ausgesetzt war. Bei einigen der in den Akten beschriebenen „Vorgänge“ wie bei dem erwähnten Pfingstbergfest war ich selbst dabei; und hier fand sich nun in übelstem Stasi-Deutsch jedes kleine Detail wieder.
Ich kämpfte mit diesen Texten und mit meinen Gefühlen, und weil die Mitarbeiter des Hauses das merkten, wurde ich von ihnen so liebevoll wie möglich betreut: Ich bekam so viel Kaffee wie nötig war, um meine stundenlange Konzentration am Leben zu halten, es gab Kekse und Schmalzbrote und Schokolade und jede Menge aufmunternde Worte. Manchmal mußte ich den Raum verlassen und platzte mit meiner Wut in gerade laufende Konferenzen hinein. Da aber alle wußten, wie es mir ging mit meiner Arbeit, ließen sie sofort alles stehen und liegen, um mich zu trösten. Wir fanden sogar zu einer Abmachung, daß ich jederzeit von jedem Anwesenden eine sofortige Umarmung einfordern konnte…
Lesen Sie dieses Buch, und Sie werden verstehen, warum es auch im Stasiland Brandenburg Leute gibt, denen es heute noch schlecht wird, wenn wieder einmal ein gewählter Volksvertreter als früherer Stasi-Spitzel enttarnt wird. Und ja: Ich bin nicht nachtragend, aber ich vergesse nichts.