Auf dem Weg vom Theater zur Reithalle A auf der Schiffbauergasse flog uns dann der Schirm fast weg. Aber der Dolmetscher, bei dem ich mich untergehakt hatte, hielt ihn fest, und so stülpte er sich nach außen und wurde zum rot-weißen Wrack. Der Schirm, nicht der Dolmetscher. Ich lachte, der Dolmetscher lachte und hinter uns der mongolische Parlamentspräsident lachte auch. Das erste Mal – vorher hatte er nur gelächelt. Was tut man nicht alles für die Völkerfreundschaft!
Nachdem der Vorsitzende des Großen Staatskhurals der Mongolei Prof. Dr. Danzan Lundeejantsan an diesem stürmischen und regnerischen Morgen per Schiff in der Schiffbauergasse angekommen war, ging es erst einmal ins neue Theater Potsdams. Das war so geplant, das Richtige bei dem Wetter und fand obendrein sein großes Interesse. Die Motorradbegleitstaffel des Landes Brandenburg hatte derweil draußen Schutz gefunden im Durchgang der ehemaligen Koksseparation des alten Gaswerkes und wirkte ganz aufgeräumt.
Der Trialog zwischen dem Vorsitzenden, dem Geschäftsführer des Theaters und dem Dolmetscher verlief so angeregt, daß der Gast nun auch noch das Jugendtheater auf dem Gelände zu sehen wünschte. Kein Problem: Der Geschäftsführer lief voraus, um die probenden Künstler vorzuwarnen und für den Weg über unbekanntes Gelände hatte man ja mich dabei.
Im Jugendtheater angekommen, waren wir wiegesagt um einen Schirm in Brandenburger Landesfarben ärmer, der Vorsitzende immer noch guter Dinge und die gesamte Delegation am Staunen, daß man hier in einer alten Reithalle Theater spielt. Derweil draußen der Limousinenkonvoi eben schnell umgeparkt und neu sortiert werden mußte…
Von mir folgten einige allgemeine Informationen über das Areal der Schiffbauergasse: Künstler und Gewerbe an einem Standort, das ist doch mal was! Ja, ganz neuer Trend der Stadtentwicklung, man trennt nicht mehr, das ist gut für die Inspiration. Der eloquente Theatergeschäftsführer erhielt zum Schluß noch eine Einladung ins Theater der mongolischen Hauptstadt: Man würde den Faust geben!
Und los ging’s im Konvoi durch die Stadt, blaulichtumblitzt und von Motorrädern begleitet in gefühlten zehn Sekunden zum Alten Markt. Das war meine Idee: Dem Vorsitzenden war nämlich ein Vormittagstermin geplatzt und die schnell vom Protokoll erdachte Ersatzvariante Schloß Sanssouci nicht genug, um die Zeit zu überbrücken. Also war ich zu meinem Dienstantritt mit der Idee gekommen, dem mongolischen Parlamentspräsidenten doch zu zeigen, wo sich das Land Brandenburg einen neuen Landtag baut.
Große Erleichterung darob bei den Landtags- und Bundestagsprotokollbeamten. Gute Idee! Zumal die Mongolei gerade auch einen Parlamentsneubau planen würde… Na, dann paßt das ja. Aber das schlechte Wetter? Keine Sorge, im Foyer vom Alten Rathaus stehen wir trocken und am Modell des unzerstörten Platzes.
Der nette Wachmann dort zeigte sich brandenburgisch-unbeeindruckt vom hohen Besuch, der Vorsitzende dafür umso interessierter am Projekt: Ob man denn im Originalstil des Stadtschlosses bauen würde? Wie heißt denn dieser Stil noch einmal, den ich schon so oft in Deutschland gesehen habe? Achja, Barock, dankeschön. Wie hoch die Baukosten wären? Wann man denn fertig sein würde? Nein, wir sind zuhause noch lange nicht so weit wie Sie. Noch nicht einmal der Bauplatz stünde fest…
Und weiter geht es im Konvoi durch die Stadt nach Sanssouci. Und ich erlebe, welche Wunder die Protokollverantwortlichen des Landtages Brandenburg vollbringen können: Während der Vorsitzende durch die Stadt fährt, organisieren sie eben mal schnell, daß er mit seiner Delegation ins Schloß kann. Unangemeldet, den Rhythmus der normalen Führungen störend und bitteschön höchstens 20 statt der üblichen 45 Minuten. Die Bundestagsprotokoller und ich sind beeindruckt.
Und während ich im schwarzen Kleinbus sitze, der direkt vor dem wichtigsten Auto fährt, sehe ich all die Potsdamer, die wie ich sonst auch im konvoiverursachten Stau und an blockierten Kreuzungen stehen und sich in Gelassenheit üben: Man ist halt Landeshauptstadt, man ist halt die Nachbarstadt von Berlin, da kommt das öfter vor, was soll man da machen, wir sind’s gewöhnt.
Sanssouci: Die Kastellanin höchstselbst führt uns durch das Schloß. In Filzpantoffeln – da gibt es keine Ausnahmen; aber diese Art Joggingtempo in den dicken Dingern hab ich auch noch nicht erlebt. Große, begeisterte Befriedigung beim Vorsitzenden: Er ist historisch sehr interessiert, Friedrich der Große ein Begriff natürlich. Ich beantworte im Hintergrund ein paar Fragen, mal mit Dolmetscher, mal in Deutsch dem Botschafter gegenüber, mal in Englisch, der mitreisende mongolische Journalist möchte bitte die exakte Schreibweise notieren: Sanssouci!
Beim anschließenden Kaffeetrinken im gegenüberliegenden Restaurant hat der Vorsitzende keine Frage mehr für mich, aber zum Abschied eine mongolische Münze, einen Händedruck und ein persönliches Dankeschön. Da ich ihn heute schon einmal zum Lachen gebracht habe, frage ich nach: Ob ich damit in der Mongolei bezahlen könne? Leider nicht, sagt er und lächelt.
Merke:
Im Konvoi mit Blaulicht und Motorradbegleitung durch Potsdam zu fahren, ist definitiv die schnellste Fortbewegungsart in dieser Stadt. Sparen Sie nie am Protokoll!
Mongolische Parlamentspräsidenten sind landestypisch wetterfest, und zwar sehr!
Motorradstaffelbegleitungsdienst zu machen ist für Polizisten eine willkommene Abwechslung. Und die Jungs sind auch nicht aus Zucker.
Für Sonderspezialkurzführungen im Schloß Sanssouci wenden Sie sich vertrauensvoll an das Protokoll des Landtages Brandenburg.
Man reagiert mit spontanem Gelächter, wenn einem der Schirm wegknickt, denn das bringt den Gast zum Lachen und stärkt die Völkerfreundschaft!