Das war nun heute wirklich kein Wetter für Stadtführungen: Windböen in Orkanstärke und immer wieder Regenschauer, gegen die auch kein Schirm half. Und trotzdem habe ich heute 27 Leute durch Potsdam geführt, wobei meine Vormittagsgäste das Privileg genossen, immer gut vor dem Wetter geschützt zu sein:
Nach einem Alarmstart am Morgen – mein Wecker hatte nicht geklingelt! – und einem absoluten Weltrekord in der Kategorie „Wie lange Frauen brauchen, um ausgehfertig zu sein“ traf ich ein österreichisches Ehepaar an der Glienicker Brücke. Treffzeit war um 10.30 Uhr, ich war um 10.29 Uhr dort! Der Professor und seine Frau waren mit Limousine und Fahrer vom Ritz-Carlton am Potsdamer Platz gekommen und hatten von mir aus dem Merian-Artikel erfahren.
Ach, was für eine Entspannung nach einem solchen Tagesbeginn in die bequemen Polster des Wagens zu sinken und sich von einem Fahrer, der sein Handwerk und meine Rechts-Links-Schwäche souverän beherrschte, durch die winddurchtoste Stadt fahren zu lassen! Luxus!
Am Alten Markt dann angehalten, um den heutigen Zustand und das Modell des Platzes inklusive Stadtschloß im Foyer des Alten Rathauses anzuschauen. Und an dieser Stelle sei es allen Potsdamern gesagt: Wenn zwei Österreicher angesichts dessen, was Potsdam mit dem Stadtschloß verloren hat, so traurig und bestürzt reagieren, dann dürfen auch wir aufrichtig traurig sein!
An der roten Ampel am Fuße von Schloß Sanssouci sind wir plötzlich von Blaulicht umblitzt: Hinter uns – und sehr dicht hinter uns – stehen zwei Motorräder der Feldjäger, dahinter noch mehr von ihnen und mehrere schwarze Limousinen. In solchen Momenten wäre es schon schön, wenn das Protokoll mir immer vorher mitteilen würde, welcher Staatsgast gerade Potsdam besucht – aber ehrlich gesagt läßt der Informationsfluß in dieser Beziehung doch noch zu wünschen übrig! Und so bleiben meine Gäste im informatorischen Blaulicht-Dunkel, aber sie nehmen’s nicht übel.
Nach einer kurzen Pause, in der ich zuhause endlich mal was essen kann, wieder schnell zum Alten Markt. Die angekündigte Gruppe von 25 Italienern läßt auf sich warten. Einzig der italienische Freund und Koch, der mich bzw. eine Stadtführung mit mir großzügig verschenken will an seine Landsleute, ist pünktlich zur Stelle. Und gibt ein gelungenes Beispiel für Assimilation, als er grummelt: Ah! Italiener! Immer zu spät…
Fünfundvierzig (!) Minuten später tauchen Sie auf und sind glücklich, daß ich gewartet habe. Und erstaunt und immer mehr erstaunt, wieviel heimatliche Eindrücke ihnen hier in Potsdam begegnen. Die Liebe der Deutschen zu Italien ist nun wahrlich keine Erfindung der Fünfziger Jahre, auch preußische Könige waren dem Dolce Vita schon verfallen…
Auf der Terrasse von Sanssouci müssen wir alle unsere Schirme zuklappen, trotz Regens: Gleitschirmfliegen war heute nicht mit eingeplant. Am Schluß bin ich dankbar für so viele dankbare Gäste und dafür, daß niemandem von uns ein Baum auf den Kopf gefallen ist. Und ich freue mich schon auf mein mehrgängiges italienisches Menü mit allem Schnick und Schnack. An diesem Nachmittag habe ich nämlich nicht gegen Honorar, sondern für ein Essen gearbeitet. Was tut man nicht alles für gute Freunde und für die Völkerverständigung!