Ich solle verzeihen, aber sie hätte eine ungewöhnliche Frage. Und auch entschuldigen, daß sie einfach so anruft.
Jetzt bin ich neugierig, und das sag ich ihr auch.
Ja, also ihr Sohn müsse für seine Hausaufgaben herausfinden, warum die Potsdamer Stadttore so heißen, wie sie heißen. Und beim Brandenburger Tor hätte sie es schon herausgefunden – es würde in Richtung der Stadt Brandenburg führen. Aber das Nauener Tor? Und das Jägertor?
Ich finde das ja schön, wenn Eltern die Hausaufgaben für ihre Kinder machen, das bildet die Eltern ungemein, aber deswegen muß es ja nicht gar so einfach sein. Also, wenn das Brandenburger Tor nach einer Stadt heißt, in deren Richtung es führt, dann heißt das Nauener Tor –
nach der Stadt Nauen! Sie klingt erleichtert und ein bißchen stolz. Ja, richtig, gut gemacht, sag ich – der Mensch lernt nur über Lob. Und nun das Jägertor.
Ja, dazu hätte sie irgendwo gefunden, daß es zur Zeit eines Fürsten in dessen Fasanerie führte.
Nicht schlecht für den Anfang, aber das reicht natürlich nicht. Also erstens: Es war der Kurfürst, sogar der Große Kurfürst. Ach ja, moment. Ich denke, sie schreibt mit. Und vom Jägertor führte eine Allee in sein bevorzugtes Jagdgebiet. Ach so! Ich kann hören, daß da noch etwas unklar ist: Wissen sie, was eine Fasanerie ist?
Es hat mit Fasanen zu tun, sagt sie. Sehen sie, sag ich, sie wissen ja schon alles, und dann erst erkläre ich ihr, was eine Fasanerie ist, und weshalb es so praktisch war, so etwas gleich in Nachbarschaft zum Jagdgebiet zu haben. Auch Große Kurfürsten brauchen manchmal schnelle Erfolge…
So viel Erleichterung war selten, und so viel Dankbarkeit. Und nochmals Entschuldigungen. Wissen sie, sag ich, es ist nicht so seltsam, wie sie vielleicht glauben, ich bekomme öfter solche Fragen, auch wenn ich nicht gerade Leute durch die Stadt führe.
Und ehrlich gesagt ist es mir egal, wer nun letzten Endes klüger wird – Mutter oder Sohn. Aber das sage ich ihr nicht. Ich bin Stadtführerin und nicht erziehungsberechtigt…