Das erste Haus in Potsdam

Kommt man über die Glienicker Brücke von Berlin nach Potsdam, fällt einem gleich rechts hinter der Brücke ein noch unsaniertes, aber sehr schönes Haus ins Auge: Die Villa Schöningen, eine der eindrucksvollsten Vertreterinnen des italienischen Villenstils, der das Potsdamer Stadtbild mitgeprägt hat.

Der Name der Villa stammt von ihrem ersten Besitzer Kurd von Schöning, Hofmarschall bei Prinz Carl von Preußen, der gleich gegenüber – heute auf der Berliner Seite der Brücke – im Schloß Glienicke lebte; Architekt der Villa ist kein geringerer als der Architekt des Königs Ludwig Persius.

So weit, so gut, und spätestens seit im letzten Jahr Persius‘ 200. Geburtstag u.a. mit einer großen Ausstellung im Schloß Babelsberg gefeiert wurde, ist dieses Wissen in Potsdam Allgemeingut. Offenbar so gut wie überhaupt nicht bekannt ist, daß die Villa seit 1882 der Familie Wallich gehörte. Und wenn dieser Name fällt, sollten zumindest die Angestellten der Deutschen Bank aufhorchen: Ja, richtig, Hermann Wallich (28.12.1833 – 30.4.1928) war einer der ersten Vorstände der Bank:

„Dem ersten ‚Vorstand‘ der Deutschen Bank – zunächst noch Direktion genannt – gehörten neben Siemens zwei weitere Mitglieder, Wilhelm Platenius und Hermann Wallich, an. Von einem eigenständigen Handeln der Direktion konnte freilich keine Rede sein. Das eigentliche Sagen in der Bank hatte der 24köpfige Verwaltungsrat, bzw. ein daraus gewählter ‚Fünferausschuß‘, der sich kräftig in die Tagesgeschäfte einmischte. Siemens und seine Kollegen konnten z.B. keine Geschäfte über 1000 Mark eigenständig tätigen – eine lächerliche Summe, die nach heutiger Kaufkraft ca. 20000-25000 Mark entspräche.

Siemens kritisierte denn auch die Versuche des Verwaltungsrats, das Unternehmen zu führen, mit einem Vergleich: ‚Wenn 24 Leute eine Bank leiten wollen, dann ist das wie mit einem Mädchen, das 24 Freier hat. Es heiratet sie keiner. Aber am Ende hat sie ein Kind!'“ Quelle

Einer jüdischen Familie aus dem Rheinland entstammend, heiratete Hermann Wallich die Tochter des damaligen Besitzers der Villa Schöningen, Moritz Jacobi. 1882 ging die Villa in seinen Besitz über, an Anfang nutzte die Familie die Villa nur als Sommerhaus und lebte ansonsten in Berlin, mit Beginn der Motorisierung und der damit verkürzten Fahrzeit zwischen den beiden Städten war es der Familie dann möglich, ganz nach Potsdam zu ziehen. Im gleichen Jahr 1882 wurde Hermanns Sohn Paul Wallich geboren, der später die Villa mit seiner Frau Hildegard bewohnte.

Paul Wallich wiederum war Bankier, Mitinhaber des unter den Nazis ausgelöschten Frankfurter Bankhauses J. Dreyfus & Co. und schrieb als Nationalökonom ein Standardwerk über das Berliner Wirtschaftsleben:

Berliner Grosskaufleute und Kapitalisten
(Hugo Rachel, Johannes Papritz, Paul Wallich, Bd. 1-3 1924-1939. Neu hrsg. und bibliogr. erw. von Johannes Schultze, Henry C. Wallich und Gerd Heinrich, Bd. 1-3, Berlin 1967)

Paul Wallich ließ einige Anbauten an der Villa Schöningen vornehmen, er legte einen Tennisplatz auf dem parkähnlichen Grundstück an und war ein passionierter Segler. Außerdem war er Mitglied der Gesellschaft der Freunde, einem jüdischen Verein, der von 1792 bis 1935 existierte und dessen Arbeit unter dem Motto Moses Mendelssohns stand: „Nach Wahrheit forschen, Schönheit lieben, Gutes wollen, das Beste thun.“ Mehr Informationen zur Gesellschaft der Freunde finden sich auf der Website des Berliner Historikers Sebastian Panwitz, der gerade seine Doktorarbeit zu diesem Thema schreibt.

Paul Wallich hat sich 1938 nach den Novemberpogromen das Leben genommen.

Über die Geschichte der Familie Wallich und ihr Leben in der Villa Schöningen gibt es ein englischsprachiges Buch von Katie Hafner: „The House at the Bridge“ und ebenso eine Website: www.thehouseatthebridge.com.

Ergänzung vom 22. Februar 2005: Das Buch von Katie Hafner ist mittlerweile auch in Deutsch erschienen, und zwar hier, im Märkischen Verlag Wilhelmshorst.